Wie war die römische Gesellschaft aufgebaut?
Die römische Gesellschaft der Kaiserzeit (27 vor Christus bis 476 nach Christus) gliederte sich in „freie“ und „unfreie“ Menschen. Zu den freien Personengruppen zählten zuvorderst die cives romani („römische Bürger“), aber auch die peregrini („Fremde“, d. h. Provinzbewohner ohne Bürgerrecht) und die liberti („Freigelassene“, d. h. ehemalige Sklaven). Jede soziale Gruppe hatte bestimmte Rechte und Pflichten. Da es keine Gleichheit vor dem Gesetz gab, fiel die Strafe für ein und dasselbe Vergehen unterschiedlich aus. Was dies konkret bedeutete, illustriert ein berühmtes Beispiel aus der Geschichte: Jesus von Nazareth wurde wegen Aufwiegelei mit Kreuzigung bestraft, einer schimpflichen Todesart. Nach römischem Recht war er ein peregrinus. Für das gleiche Vergehen wurde später auch Apostel Paulus verurteilt. Er aber hatte das römische Bürgerrecht. Darum wurde ihm in Rom der Prozess gemacht. Er blieb von Folter verschont und starb durch Enthauptung.
Sklaverei war keine Eigenheit der römischen Kultur. Sie kam in vielen antiken Gesellschaften vor. Wer es als unfair empfand, selbst versklavt worden zu sein, lehnte die Sklaverei nicht unbedingt generell ab. Sie war ein selbstverständlicher Bestandteil der römischen Gesellschaft. Hier waren Sklaven und Sklavinnen rechtlos und schuldeten den Besitzerinnen und Besitzern Gehorsam. Arbeitszuteilung, Lebensstandard und Handlungsspielraum hingen von deren Wohlgefallen und Wohlstand ab.
In die Sklaverei gerieten Kriegsgefangene und Findelkinder. Soweit die Arbeitsleistung nicht beeinträchtigt war, durften Sklavinnen und Sklaven Familien gründen. Den Sklavenstatus gaben sie dabei auch an ihre Kinder weiter, wodurch sich der Sklavenbesitz zum Vorteil der Hausherrin und des Hausherrn vermehrte. Sie entschieden schließlich auch über das Schicksal und die Erziehung der Kinder.
In der Antike galt für freie Menschen das Ideal der Selbstkontrolle. Zum ehrenhaften Verhalten gehörte es, versklavte Menschen nicht zu quälen. In der Realität kam dies dennoch vor. Im zweiten Jahrhundert nach Christus wurden daher Gesetze erlassen, die Sklaven und Sklavinnen vor Willkür schützen sollten. Obwohl dies auf den ersten Blick als wichtige rechtliche Neuerung erscheint, änderte sich dadurch für viele Unfreie nichts an ihrem menschenunwürdigen Schicksal. Zwar war es fortan strafbar, wenn eigene Sklaven und Sklavinnen grundlos geschlagen oder gar getötet wurden. Prügel als Mittel einer „gerechtfertigten“ Bestrafung jedoch stellte nach dem Gesetz keine Misshandlung dar. Geahndet wurde nur, was in der Öffentlichkeit sichtbar wurde. Kontrollbesuche unternahmen die zuständigen Beamten nicht.
Ob in der Landwirtschaft, in Handel und Gewerbe oder im Haushalt, ob in der Bildung oder in der Medizin: Unfreies Personal war neben freien Arbeitskräften in beinahe allen Berufen vertreten, mit Ausnahme des Militärdienstes. Trotzdem arbeiteten Sklaven auch in der Armee, zwar nicht als Soldaten, aber als Knechte und Leibdiener.
Wie hoch im Rheinland der Anteil der Sklaven und Sklavinnen an der römerzeitlichen Bevölkerung war, lässt sich nur schwer einschätzen. Obwohl Sklaverei weit verbreitet und selbstverständlich war, konnte sich nicht jeder Haushalt Bedienstete leisten. Sie waren teuer, sowohl in der Anschaffung als auch im Unterhalt und galten als Statussymbole. Dies erklärt auch, warum ein bis zwei Unfreie ein beliebtes Motiv auf Grabsteinen für Veteranen und ihre Familienangehhörigen waren. Menschen, die über einen relativ überschaubaren Wohlstand verfügten, „schmückten“ sich stolz mit ihren Sklaven und Sklavinnen. Wirklich reiche Menschen ließen sich nicht auf diese Art verewigen. Dass sie sich Menschen als Eigentum leisten konnten, wurde vorausgesetzt.
Die Freilassung war ein Zeichen der Großzügigkeit. Einen Anspruch darauf hatte ein Sklave oder eine Sklavin nicht. Als Freigelassene mussten sie nicht mehr gehorchen, waren aber ihrem ehemaligen Herrenhaus weiterhin zu Treue und Dankbarkeit verpflichtet.
Freigelassene durften eigenständig Geschäfte tätigen. Männer erhielten mit der Freilassung auch das aktive Wahlrecht. Eine Karriere in der Politik oder im Militär war ihnen jedoch verwehrt. Ehemalige Sklavinnen erhielten erst durch Heirat mit einem römischen Bürger das Bürgerrecht. Ein gemeinsames Kind erbte das volle Bürgerrecht, wenn es nach dem Zeitpunkt der Freilassung geboren wurde.
Unfreie Menschen erhielten meistens dann ihre Freiheit, wenn sich für ihre Besitzer besondere Vorteile eröffneten. Im Bereich Handel und Gewerbe kamen solche Vereinbarungen häufig vor. Die Aussicht, sich durch besonderen Fleiß und Geschäftstüchtigkeit die Freiheit erkaufen zu können, steigerte die Motivation der unfreien Person und zugleich den Gewinn des Unternehmens. Nach der Freilassung profitierte dieses weiterhin von der Initiative der freigelassenen Person, ihrer Dankbarkeit und Treue. Begrenzt waren dagegen die Aussichten unfreier Menschen, die nicht in der Handelsbranche, sondern in der Produktion von Gütern eingesetzt waren. Auf dem Land wurden vergleichsweise wenige Sklavinnen und Sklaven freigelassen.
Im Jahre 212 nach Christus wurde die „Constitutio Antoniniana“ erlassen. Mit dieser Verordnung des Kaisers Caracalla gab es keine spezifische Unterscheidung zwischen frei Geborenen und Freigelassenen (liberti) mehr. Im gesamten Imperium Romanum wurden alle freien Menschen zu römischen Bürgern und Bürgerinnen erklärt.
Vor der Constitutio Antoniniana bestand die größte Gruppe im Römischen Reich aus einheimischen Menschen in den eroberten Gebieten. Sie waren „Freigeborene“ ohne römisches Bürgerrecht. Dazu zählten beispielsweise links des Rheins verschiedene Stämme keltischer und germanischer Herkunft. Sie durften ihre Lebensweise weitgehend beibehalten. Im Gegenzug mussten sie Tribute leisten, die sowohl von Provinz zu Provinz als auch innerhalb einer Region unterschiedlich festgelegt sein konnten.
Dem Stamm der Bataver beispielsweise, welcher das Gebiet der südlichen Niederlande bei Nijmegen bewohnte, blieben Abgaben in Form von Naturalien erspart. Aufgrund ihrer besonderen militärischen Qualitäten waren die Bataver lediglich verpflichtet, Soldaten zu stellen. In Krisenzeiten bedeutete dies Zwangsrekrutierung, welche fast alle Männer betraf. Diese fehlten dann als Arbeitskräfte in der Heimat.
Ein weiteres Beispiel sind die Ubier: Dieser Stamm profitierte davon, dass er schon zu Lebzeiten Caesars treuer Verbündeter der Römer war. Als Köln im Jahre 50 nach Christus in den Rang einer Koloniestadt erhoben wurde, erhielten viele Bewohnerinnen und Bewohner ubischer Abstammung das Bürgerrecht.
Ein anderer Weg, das Bürgerrecht zu erwerben, eröffnete sich jungen Männern mit dem Militärdienst, indem sie sich auf 25 Jahre als Hilfstruppensoldat verpflichteten. Frauen erhielten durch eine Eheschließung mit einem römischen Bürger das Bürgerrecht.
Eine andere Situation zeigt der Grabstein für Bella, einer Gallierin aus der Umgebung von Reims. Auf dem Relief entspricht die jung Verstorbene dem Idealbild einer römischen Ehefrau und Mutter. Die Inschrift verrät allerdings, dass sie und ihr Mann rechtlich Peregrine waren. Beide zählten folglich zur einheimischen Provinzbevölkerung ohne römisches Bürgerrecht.
Menschen mit römischem Bürgerrecht zahlten weniger Steuern. Sie hatten Erb- und Eherecht und durften sich vor Gericht selbst verteidigen. Sie durften in der Legion dienen und wählen. Ein öffentliches Amt durfte hingegen nur bekleiden, wer ein bestimmtes Mindestvermögen nachweisen konnte. Denn die Ämter waren Ehrenämter. Jeder Amtsinhaber musste in der Lage sein, während der Amtszeit seinen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Darüber hinaus wurde erwartet, dass der Amtsinhaber einen Teil seines Privatvermögens zum Wohle der Allgemeinheit einsetzen würde.
In Rom umfassten die Vermögensklassen die breite Schicht der einfachen Bürger und Bürgerinnen, welche sowohl bettelarm als auch wohlhabend sein konnten. Darüber gab es den Ritterstand mit einem Mindestvermögen von 400.000 Sesterzen und − an der Spitze − den Senatorenstand mit einem Mindestvermögen von 1.000.000 Sesterzen. Die Familien des Ritterstandes und des Senatorenstandes bildeten die Oberschicht der römischen Gesellschaft.
Angehörige des Ritterstandes übernahmen hohe Posten in der Armee und in der Verwaltung. So waren sie unter anderem für das Eintreiben der Steuern zuständig.
Aus dem Senatorenstand kamen die Mitglieder des Senats. Senatoren bekleideten die Ämter, die es schon zur Zeit der Republik gegeben hatte, sowie sämtliche Spitzenpositionen in Verwaltung und Militär. Dazu gehörte auch der Statthalter der Provinz Niedergermanien, der den Titel legatus augusti propraetore trug.
Zum Stand der Senatoren zählte zudem die kaiserliche Familie. Gaius Octavius, heute als erster römischer Kaiser Augustus bekannt, wollte keinesfalls als Alleinherrscher wahrgenommen werden, sondern nur als „princeps“, als „erster Bürger im Staat“. Er begründete mit dem „Prinzipat“ eine neue Herrschaftsform. Offiziell galt im Jahre 27 vor Christus die Republik nach dem Bürgerkrieg zwischen ihm und Marcus Antonius als wieder hergestellt. Die Ämter aus der Zeit der Republik blieben bestehen. Um den Schein zu wahren, kandidierten auch die späteren Kaiser hin und wieder für das Konsulat und teilten es mit einem Amtskollegen. Als primus inter pares (lateinisch für: „Erster unter Gleichen“) trug auch der Kaiser die Toga, die Tracht des römischen Bürgers. Thronbesteigung und Krönung − Zeremonien, die wir mit dem Regierungsantritt eines Monarchen verbinden − gab es nicht. Im Laufe der Zeit gewöhnten sich die Bürger und Bürgerinnen Roms daran, dass an der Spitze des Staates ein einzelner Machthaber stand. Die Distanz zum Kaiser vergrößerte sich zunehmend und es entwickelte sich ein Verhältnis aus Herrscher und Untertanen.
Anfangs waren die Menschen in den Provinzen über die Anwesenheit der Römer, ihre Gesetze und gesellschaftlichen Regeln geteilter Meinung: Für die Einen war die Toga ein Symbol gesellschaftlichen Aufstiegs, für die Anderen ein Zeichen der Unterdrückung. Schließlich bestimmten die Römer, zu welchen Bedingungen Einheimische das Bürgerrecht erwerben konnten.
„...Die Germanen werden nie sich damit abfinden, dass sie zwischen Elbe und Rhein Rutenbündel, Beile und die Toga gesehen hätten...“ (Tacitus, Annalen I 59, 4). So soll sich dem Geschichtsschreiber Tacitus zufolge Arminius geäußert haben. Als Sohn des Cheruskerfürsten verbrachte er seine Jugend als Geisel in Rom und erhielt das Bürgerrecht. Später machte er als Offizier Karriere in der römischen Armee. Trotzdem wandte er sich gegen die Römer und besiegte sie im Jahre 9 nach Christus in der Varus-Schlacht.
An anderer Stelle berichtet Tacitus in Bezug auf die Eroberung Britanniens: „...Ferner ließ er den Söhnen der führenden Männer… Unterricht zukommen… sodass diejenigen, die gerade noch die römische Sprache ablehnten, bald deren Beredsamkeit begehrten. Von da stand auch unsere Tracht in Ehre und die Toga war oft gesehen...“ (Tacitus, Agricola 21).
Um den Zusammenhalt zu fördern, setzten die Römer auf die Zusammenarbeit mit der einheimischen Führungsschicht. Einzelnen Mitgliedern oder auch bestimmten Gruppen wurde das Bürgerrecht ehrenhalber verliehen. Gleichzeitig zeigten sich die Römer tolerant: In den Provinzen blieben einheimische Gesetze, Sitten und Gebräuche, Sprache und Religion unangetastet, soweit diese nicht im Widerspruch zum römischen Recht und zur Autorität des Kaisers standen.
Außerdem hielt römischer Lebensstil Einzug in die Provinzen, deren Bevölkerung die Vorzüge von „Portiken, Bädern und die Feinheit von Gastmählern...“ (Tacitus, Agricola 21) zu schätzen lernte. Dies traf auch auf das Rheinland zu: Wettergeschützte Markt- und Versammlungsplätze, Wasserleitungen, öffentliche Bäder und andere Gebäude mit Fußbodenheizung sind zum Beispiel in den römischen Städten Köln und Xanten vielfach archäologisch nachgewiesen. Die Mehrheit der Einheimischen dürfte solche Anlagen als eine Verbesserung der Lebensqualität empfunden haben. Ausgebaute Straßen, die ganzjährig benutzbar waren, förderten den Fernhandel. Es wurden Produkte verfügbar und erschwinglich, die sich vorher nur die Oberschicht geleistet hatte. Von besonderer Bedeutung ist die Einführung der Schrift bei den zuvor schriftlosen Kulturen. Dadurch steigerte sich unter anderem die Rechtssicherheit: Verträge und Vereinbarungen konnten nun verbindlich schriftlich festgehalten werden.
In den Grenzgebieten trug besonders die ständige Anwesenheit des Militärs zu einem Wirtschaftsaufschwung bei. Der Bedarf der Legionäre an Gütern aller Art war groß und zog Gewerbe wie Handwerk und Handel an. Im direkten Umfeld der Legionsfestungen entstanden größere wirtschaftliche Ansiedlungen, die canabae. Gleichzeitig war das Militär ein bedeutender Arbeitgeber. Es lockte mit der Aussicht auf ein Stück Land am Ende der Dienstzeit. Nichtrömern, die sich für 25 Jahre als Hilfssoldaten in den Grenzkastellen verpflichteten, winkte zudem das Bürgerrecht. Auch regelmäßige Soldzahlungen und die kostenlose medizinische Versorgung machten die Armee attraktiv. Titus Flavius Bassus, der ursprünglich aus dem Gebiet des heutigen Bulgarien stammte, konnte sich offenbar gar keinen anderen Beruf vorstellen. Nach 25 Jahren Militärdienst hatte er das Bürgerrecht gerade erworben und verpflichtete sich ein weiteres Mal.
Im zweiten Jahrhundert nach Christus, der Blütezeit des Römischen Reiches, herrschte weitgehend Frieden. Für die Grenzkontrolle wurden nur wenige Soldaten benötigt. Die übrigen Soldaten wurden für staatliche Baumaßnahmen eingesetzt. Titus Aurelius Exoratus, Soldat der 30. Legion beispielsweise leitete als magister calcarium die Kalkbrennerei in Iversheim. So wie er verbrachten viele Soldaten ihre Dienstzeit überwiegend im Handwerk oder auf Baustellen und nicht an der Waffe. Das Risiko, in einer Schlacht zu fallen oder durch eine Truppenverlegung aus dem eigenen sozialen Umfeld herausgerissen zu werden, war in dieser Zeit gering. Während der Dienstzeit war dem einfachen Soldaten eine Eheschließung nach römischem Recht zwar untersagt, weil der Staat für Witwen und Waisen nicht aufkommen mochte. Die Gründung von Lebenspartnerschaften und Familien war trotzdem möglich und üblich. Zudem wurden einige Bestimmungen gelockert. Nach dem Abschied aus der Armee wurde die Eheschließung nachgeholt und die Kinder für legitim erklärt. Häufig traten die Söhne später ebenfalls in die Armee ein. Und so manche Tochter war später auch mit einem Soldaten liiert. Im Laufe der Zeit entwickelten sich in den Lagervorstädten regelrechte Soldatenfamilien.