Die römische Küche
Was Archäologen und Archäologinnen hauptsächlich bei Ausgrabungen finden, ist der Müll der Vergangenheit, darunter auch viele Speiseabfälle. Tierknochen, Fischgräten, Muschelschalen und Austernklappen überdauern recht gut die Zeit im Boden, gelegentlich sogar zarte Eierschalen. Wo der Sauerstoff fehlt, zum Beispiel tief unten in der Verfüllung von Brunnen, bleiben Teile von Pflanzen erhalten, die normalerweise rasch verrotten, nämlich Schalen, Samen, Kerne und Pollen. Schließlich stoßen Archäologen und Archäologinnen, wenn auch selten, auf verkohlte Nahrungsmittel. Diese waren entweder bei religiösen Feiern verbrannt worden oder Schadensbränden zum Opfer gefallen. Am bekanntesten sind die Brote aus der Stadt Pompeji, die beim Ausbruch des Vesuv im Jahre 79 nach Christus verschüttet wurde.
Moderne naturwissenschaftliche Methoden machen es möglich, minimale Rückstände von Speisen und Getränken, die sich an der Innenseite von Koch- und Vorratsgeschirr festgesetzt haben, zu untersuchen. Zwar gelingt es selten, das Rezept zu entschlüsseln, weil der Inhalt nach der langen Zeit chemisch verändert ist. Doch lassen bestimmte organische Verbindungen immerhin Rückschlüsse auf pflanzliche oder tierische Fette, Milchprodukte oder alkoholische Getränke zu.
Ob vor oder nach der römischen Eroberung: Die Menschen in den Gebieten links des Rheins ernährten sich vorwiegend von Getreide und Hülsenfrüchten. Erstere versorgten den Körper mit Kohlenhydraten und Letztere mit Proteinen. Diese Grundnahrungsmittel wurden in Form von Brot und wohl häufiger noch als Brei oder Grütze gegessen. Angebaut wurden vor allem Emmer, Weizen, Dinkel, Gerste und Hirse sowie Erbse, Linse und Bohne. Es gab Gemüse in Form von Kohl, Rüben und Salatpflanzen. Hinzu kamen Kräuter, Nüsse und Obst. Süßungsmittel, in der Hauptsache Honig, waren teuer. Auch Fleisch und Fisch konnte sich die einfache Bevölkerung nur selten leisten.
Fleisch stammte von Schwein, Schaf, Ziege und Rind. Nutztiere wurden eher spät in ihrem Leben geschlachtet. Schließlich lieferten Schafe und Ziegen Wolle und Milch. Lämmer und Zicklein kamen daher nur zu besonderen Anlässen auf den Tisch. Das Rind war das wichtigste Arbeits- und Zugtier. Davon ausgenommen waren Rinder, die speziell als Opfertiere für hohe religiöse Feiertage gezüchtet wurden. Nur diese wurden jung geschlachtet. Auch Geflügel war beliebt, wobei Gänse und Hühner vor allem wegen der Eier gehalten wurden. Nur Schweine wurden alleine wegen ihres Fleisches gezüchtet.
Die üblichen Speisefische waren Lachs, Flussbarsch, Hecht, Stör und Zander. Gejagt wurden Hasen, Enten, Rot- und Schwarzwild. Insgesamt aber spielte die Jagd für die Ernährung keine große Rolle. Getrunken wurden Wasser und Bier, selten Met und, spätestens mit Ankunft der Römer, auch Wein.
Die Römer verbesserten Anbau- und Zuchtmethoden. Was uns heutzutage selbstverständlich erscheint, war damals noch neu, wie zum Beispiel die Kultivierung von Zwiebel und Knoblauch, Gurke, Karotte und Spargel. Als neue Kräuter und Gewürze brachten die Römer Senf, Bohnenkraut, Koriander, Dill, Fenchel, Stangensellerie und Petersilie in die Gärten nördlich der Alpen. Erstmals überhaupt wurden Obstbäume gepflanzt, unter anderem Apfel, Birne, Quitte, Süßkirsche, Zwetschge, Pflaume, Walnuss und Esskastanie. Viele Obst- und Gemüsesorten sahen anders aus als heute und dürften auch anders geschmeckt haben. Die orangefarbene Möhre etwa ist das Ergebnis moderner Züchtung.
Was aufgrund der Wetterverhältnisse und Bodenqualitäten hierzulande nicht gedeihen konnte, wurde importiert. Viele Zuwanderer, ob Soldaten oder Kaufleute stammten aus dem Mittelmeerraum. Fern der Heimat vermissten sie jene Speisen, die sie seit ihrer Kindheit gewohnt waren. Auf Oliven und Olivenöl, Wein und garum, eine Würzsoße auf der Grundlage fermentierter Fische, wollten sie auch in der Provinz nicht verzichten. Dies gilt auch für Kichererbse, Pfirsich, Aprikose, Rosinen, Feige, Dattel, Granatapfel sowie Thymian, Lorbeer und Safran. Pfeffer, Ingwer, Zimt und Reis aber waren selbst für die Römer exotisch. Diese Erzeugnisse kamen aus Gebieten außerhalb des Römischen Reiches. Austern, schon damals eine Delikatesse, gelangten von der Atlantikküste in das Rheinland.
Im 2. Jahrhundert nach Christus schwärmte der Gelehrte Aristeides (117 – ca. 187 n. Chr.) davon, dass in jeder römischen Stadt Spezialitäten aus allen Regionen des Imperiums erhältlich seien. Dies traf nach Ausweis archäologischer Funde auch auf Köln zu. Das unverzichtbare Olivenöl kam aus Südfrankreich, Spanien und sogar Tunesien. Allerdings war der Genuss mediterraner Köstlichkeiten nicht alleine eine Frage der Verfügbarkeit, sondern ebenso eine des Geldbeutels. Pinienkerne etwa werden als Zutat in römischen Rezepten häufig genannt. In Lommersum-Bodenheim wurde in einem römischen Bleisarg ein Pinienzapfen entdeckt. Ob es sich in diesem Fall um eine Handelsware oder um ein persönliches Mitbringsel handelt, ist unklar. In jedem Fall machte der weite Transportweg ihn zu einer besonderen Grabbeigabe.
Die Zitrone − heute aus der Küche Süditaliens kaum wegzudenken − kam den Darstellungen auf Fresken zufolge zwar als Zierpflanze in den Gärten der Mittelmeerwelt vor, spielte in der römischen Küche jedoch nur eine sehr geringe Rolle. Ihre Blätter dienten zum Aromatisieren von Wein. Die Orange wurde erst im Mittelalter, Kaffee und Tee erst in der frühen Neuzeit bekannt.
Tomaten, Kartoffeln, Mais, Gartenbohnen, Sonnenblumen, Bananen, Ananas, Kakao, Paprika und Chili stammen ursprünglich aus Amerika und gelangten erst nach der Entdeckung dieses Kontinents nach Europa. Den Römern waren diese Pflanzen folglich unbekannt. Knollensellerie, Gartenerdbeere und Zuckerrübe werden erst seit dem 18. Jahrhundert gezüchtet.
Insgesamt sind wir gut über die Ernährung vor 2000 Jahren im Rheinland informiert. Schwieriger ist es, herauszufinden, wie die Nahrungsmittel zubereitet wurden.
In der Zeit vor der römischen Eroberung war das Kochgeschirr auf wenige Formen beschränkt, im Wesentlichen auf Töpfe, Näpfe und Schüsseln. Dies deutet auf einfache Zubereitungsweisen hin. Demgegenüber weist das Küchengeschirr der Römer eine deutlich größere Vielfalt auf: Es gab Bratpfannen aus Metall sowie Back- und Auflaufformen aus Ton. Spezielle Formen dienten der Herstellung von Käse. Geradezu typisch für die römische Küche sind die Reibschalen. Diese großen Mörser mit rauer Innenseite dienten dem Zerreiben von Lebensmitteln und der Zubereitung verschiedenster herzhafter und süßer Pasten, Dips und Soßen.
Heute sorgen Tiefkühlkost und Konserven sowie aus allen Teilen der Erde eingeflogene Nahrungsmittel für permanente Verfügbarkeit. In früheren Zeiten hing das Angebot an Nahrungsmitteln viel stärker von den Jahreszeiten ab und war auf die Zeit der Ernte beschränkt. Wenn die Kühlung in den Kellerräumen nicht ausreichte, wurde leicht verderbliche Ware haltbar gemacht. Dass mehrere Schriftsteller sich ausführlich mit Vorratshaltung und Konservierung befasst haben, verwundert nicht. Die Lebensmittelproduktion war viel aufwändiger als heute und die Bedrohung durch Missernten ungleich größer.
Übliche Methoden waren zum Beispiel das Trocknen, das Räuchern, das Pökeln oder das Einlegen in Öl, Essig, Senf oder Honig. Diese Konservierungsformen hatten auch Einfluss auf die damaligen Geschmacksgewohnheiten.
Aus der Römerzeit sind auch zahlreiche Rezepte überliefert. Am bekanntesten ist das sogenannte „Kochbuch des Apicius“. Dieser war im 1. Jahrhundert als Feinschmecker berühmt und soll sogar eine ganze Zeit in Köln gelebt haben. Allerdings ist die Forschung nicht sicher, ob er tatsächlich der Verfasser der umfassenden Rezeptsammlung ist. Diese spiegelt vor allem die Küche der Reichen wider. Im Mittelpunkt steht die Zubereitung von Fleisch, Geflügel, edlen Speisefischen und Meeresfrüchten. Auffällig sind die vielen teuren Zutaten für die Soßen. Insgesamt ist eine Vorliebe für süßsaure Geschmacksnoten festzustellen. Leider fehlen für die einzelnen Zutaten die Mengenangaben, so dass die Forscher geteilter Meinung darüber sind, ob uns römisches Essen überhaupt schmecken würde. Dass Speisen und Getränke überwürzt waren, muss aus den Rezepten nicht zwingend abgeleitet werden. Der Mensch der klassischen Antike suchte in allen Lebensbereichen nach der Ausgewogenheit. Eine maßvolle Verwendung von Kräutern, Gewürzen und Süßungsmitteln kann zumindest für die gehobene Küche angenommen werden.
Die Römer nahmen in der Regel drei Mahlzeiten täglich zu sich. Das Frühstück spielte eine untergeordnete Rolle, zumindest bei den Bewohnern in der Stadt. Auf dem Land sah dies anders aus, wie aus einem Text aus der Appendix Vergiliana hervorgeht, einer Gedichtsammlung, die angeblich der Dichter Vergil (70 – 19 vor Christus) verfasst haben soll. Er handelt von einem einfachen Bauern, der frühmorgens, bevor er zur Feldarbeit aufbricht, sein Frühstück bereitet: frisch gebackenes Brot mit einer Paste aus Käse, Olivenöl, Essig, frischen Kräutern und sehr viel Knoblauch, eine Zutat, die in Rezepten der gehobenen Küche höchst selten genannt wird.
Die erste große Mahlzeit gab es mittags. In den Städten boten dann an vielen Straßenecken einfache Lokale, die thermopolia (griechisch für: „warm verkaufen“) heiße Gerichte an. Wir würden heute von „Streetfood“ sprechen.
Die Hauptmahlzeit fand am frühen Abend statt. Zur sogenannten cena trafen sich Familie und Freunde. Nobelrestaurants waren unbekannt. Das römische Menü bestand aus einer Vorspeise, einem oder mehreren Hauptgängen und einem Nachtisch. Eine typische Vorspeise waren hartgekochte Eier. Danach folgten Gerichte mit Getreide, Hülsenfrüchten, Gemüse, Fisch und Fleisch. Zwar sind zum Beispiel bei Apicius auch Rezepte für Süßspeisen überliefert, doch bestand das Dessert üblicherweise aus Obst.
Wie selbstverständlich diese Speisenabfolge in vielen römischen Häusern war, kommt in einer Redewendung zum Ausdruck, die der Dichter Horaz (65 – 8 vor Christus) nennt: „Vom Ei bis zum Apfel“. Das Trinkgelage folgte im Anschluss an das Menü. Doch darf nicht vergessen werden: Für einen Großteil der Bevölkerung war ein Bankett die Ausnahme. Im Alltag mussten Mahlzeiten günstig und schnell zubereitet sein: Plinius der Ältere (23 – 79 nach Christus) erwähnt eine haltbare Fertigmischung aus Gerstengries, Leinsamen, etwas Essig und Koriandersamen, einem Lieblingsgewürz der Römer. In circa 20 Minuten war daraus puls (lateinisch für: „Brei“) gekocht. Dieses Gericht konnte beliebig abgewandelt werden mit allem, was die jeweilige Jahreszeit oder der eigene Geldbeutel ermöglichten.
Über die Tischkultur der einheimischen Bevölkerung in den Provinzen oder speziell am Niedergermanischen Limes ist kaum etwas bekannt. Essbesteck ist nicht nachgewiesen. Über die Germanen berichtet der Geschichtsschreiber Tacitus (circa 55 − nach 117 nach Christus), dass jede Person auf einem eigenen Sitz und am Tisch zu essen pflege (Germania, 22). Ähnliches schreibt bereits im 1. Jahrhundert vor Christus der griechische Historiker Diodor über die Kelten. Tatsächlich sind Archäologen schon auf Hocker und kleine niedrige Tische aus dieser Zeit gestoßen, wenn auch nicht im Rheinland.
Über die Etikette der Römer sind wir durch Schriftquellen und Darstellungen auf Grabsteinen, Mosaiken und Wandmalereien weitaus besser informiert.
Die Häuser der Reichen hatten mindestens ein Speisezimmer, triclinium genannt. Der Name bezieht sich auf die U-förmige Anordnung dreier Liegen um einen Esstisch herum. Ein männlicher Gast legte sich auf eine dieser Liegen und stützte sich auf den linken Ellenbogen, während er mit der rechten Hand zu den Speisen griff. Frauen nahmen in einem bequemen Korbsessel Platz
Bedingt durch die Körperhaltung speisten die Gäste nicht an einer Tafel, sondern an einem kleinen runden Tisch. Ein eigenes Gedeck für jede einzelne Person gab es nicht. Die Gerichte wurden nacheinander aufgetragen. Sie wurden in Schüsseln, auf Tellern und Platten auf den Tisch gestellt und alle griffen zu. Die stets beliebten Soßen wurden über die Speisen gegossen oder in Näpfen dazugestellt.
Vor dem Essen war es üblich, nicht nur die Hände zu waschen, sondern auch die Füße. Schließlich sollten die Polster nicht beschmutzt werden. Dafür gab es ein zweiteiliges Waschservice, eine Kanne für das Wasser und eine sogenannte Griffschale, mit der es aufgefangen wurde.
Gegessen wurde hauptsächlich mit den Fingern. Bei dem berühmten Dichter Ovid (43 vor Christus - 17 nach Christus) ist zu lesen: „...Iss mit den Fingerspitzen...Schmier das Gesicht dir nicht voll mit deiner fettigen Hand...“ (Liebeskunst III, 755-756, Übersetzung nach Niklas Holzberg).
Essbesteck wurde nur bei Bedarf benutzt. Dieses brachte der Gast selbst mit. Bekannt waren Löffel, Tafelmesser und zweizinkige Gabeln. Mit einer Serviette wurden zwischendurch Finger und Mund abgewischt.
Wein wurde aus Bechern oder Trinkschalen genossen. Besonders beliebt waren gesüßte Gewürzweine. Zum guten Benehmen gehörte es, Wein nicht pur zu trinken, sondern mit Wasser zu mischen. Ein Trinkservice umfasste darum eine Art Eimer als Mischgefäß, eine Wasserkanne sowie eine Kelle und ein Sieb. Kelle und Sieb wurden ineinander gelegt und der verdünnte Wein aus dem Eimer geschöpft. Das Sieb wurde schließlich aus der Kelle herausgehoben, um die Gewürze herauszufiltern. Dann wurde ausgeschenkt.
Theoretisch betrachtet war die Kost vor 2000 Jahren gesünder, weil sie mehr Ballaststoffe und deutlich weniger Zucker enthielt. Darüber hinaus legten Ärzte und Ärztinnen der Römerzeit großen Wert auf Vorbeugung durch einen gesunden Lebensstil.
Vielen Menschen fehlte jedoch das Geld für eine ausgewogene Ernährung. Skelettreste mit Anzeichen von Unter- oder Mangelernährung finden sich häufig. Die Ärmeren, die harter körperlicher Arbeit ausgesetzt waren, hatten Mühe, den täglichen Kalorienbedarf zu decken. Selbst in guten Zeiten war eine ausreichende Versorgung mit Vitaminen, Mineralstoffen und tierischem Eiweiß ein Problem. Das Sammeln von Wildpflanzen, Pilzen, Nüssen und Schnecken stellte darum eine wichtige Ergänzung des eintönigen Speiseplanes dar. Dies gilt ebenso für Singvögel, die mit Leimruten gefangen wurden.
Fettleibigkeit war selten. Die meisten Menschen waren dünn und tendierten zum Untergewicht. Dem extremen Schlankheitsideal in unserer modernen Zeit wären sie mit Unverständnis begegnet.
Überzeugte Vegetarier – wie der Dichter Horaz (65−8 vor Christus) oder der Schriftsteller Plutarch (45−125 nach Christus) – bildeten die Ausnahme.